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Bugulu

Bugulu | Text: Jim Brutto (1970)

An diesem Abend war ich in der Großstadt, der einzigen in dieser Bananenrepublik, und ich muß sagen, es kam mir vor wie auf einer großen Kirmes. Ich schlenderte eine breite Fußgängerstraße hinab. An diesem Tag schien besonders viel los zu sein. Irgendein Politiker durfte einen Abschiedsspaziergang durch diese, seine Abschiedswelt gehen. Er, der damals das Ende des Weltkrieges nicht miterlebt hatte, weil ihn das Schicksal auf irgendeine Isolierstation geschickt hatte, er durfte jetzt seinen menschlichen Abendspaziergang machen. Als Offizier hatte er mehr als 20 Jahre an dem Forschungsauftrag gearbeitet, der da hieß: Wie bestehen die zerstörerischen Beziehungen zwischen Aloa und Pampageipalos ? Es waren nicht irgendwelche einsamen 20 Jahre. Es war eine Zeit der militärischen Erfüllung, und jetzt, da das Militär ihn wieder brauchte, fand man ihn wieder.

Heute Abend Pampageipalos, die Hauptstadt von Pampageipalos. Vier Leibwächter schirmen ihn ab, taghell erleuchtete Szene, zwei links, zwei rechts, ein Alibi-Suchtrupp in der restlichen Eskorte, als Fuß- und Wanderprediger abgetan. Ein Fotograf, Reporter, noch welche. Ich erkenne ihn. Heute ohne Uniform, mit hemdsärmeligem, zackig aufgekrempeltem Gang. Rechts neben ihm - Blitz ! - der Gouverneur der Stadt in Stiefeln und Tropenanzug. Beide ohne Hut, dafür aber mit Bierflaschen in den Händen. Der Gouverneur - Blitzblitz! - Lächeln - Blitz! - Lääääächeln - Blitzblitz! So ein Schelm. Ei, der Gouverneur - Blitz ! Na klar, einer wie wir. Wirft - Blitz ! - den Deckel der Bierflasche in weitem Bogen nach hinten - Blitz ! - auf das Kopfsteinpflaster, zwischen die Straßenbahnschienen. Jemand im roten Popelinemantel, Mitte 35, hebt den Deckel - Blitz ! - auf und wirft ihn dem Gouverneur, der gerade zum Trinken ansetzt, hinterher.

Der Kronkorken nimmt nicht die vorausberechnete bahn und fällt - Blitz ! - wieder zu Boden. Ein Blitz mit Rufzeichen ! Der Gouverneur springt zur Seite, stolpert über eine Straßenbahnschiene, die Bierflasche fällt zu Boden und zer -Blitz ! - platzt; er hat sich noch nicht einmal geschnitten. Die Leibwächter rennen zum Teil los, auf den Kronkorkenattentäter los, weitere brechen aus der Menge hervor und riegeln diese gegen die Szene ab. Der Werfer wird umzingelt, zu Boden gerissen. Ein Offizier steht indes allein da, hilflos, ratlos. Ich rufe: "Er ist doch so wie wir! Wir haben Papierkörbe !" Er begreift nicht.

Am späten Abend in einem wohl gutfeinen Restaurant - keine Theke, alles sitzt am Tresen. Hochbetrieb. Ich suche einen Platz. Überall hohe Wände, zum Teil mit aufgemalten Frauen. Ich suche nicht alleine. Irgendwo noch zwei, die da und dort suchen. Da kommt ein Stoßtrupp Wanderprediger herein. Mit großkalibrigen Blicken übergießen sie die Tische. Edelkurzhaarschnitt, Zwiebelmützen, lange tannenbaumförmige Mäntel. Zum Teil beide Hände in der Tasche. Mit hektischer Gelassenheit suchen sie in den Räumen nach freien Plätzen, selbst dort, wo ich keine vermute: So ganz nebenbei hinter Vorhängen, Garderobenständern, ja auch neben den aufgemalten Frauen.

"Na", frage ich einen dieser Friedensgorillas, "habt Ihr ihn noch nicht gefunden ?" Er bleckt die Zähne, auf dieses Zeichen hin scharen sich einige seiner Glaubensbrüder um mich. Ich verspüre einen Piekser, weiß im gleichen Augenblick nicht mehr wo. Einer hier, einer da, wie ein Schirm. Einer presst mir mit unsanft gewaltigem Lächeln meine Nasenflügel zusammen, eine andere Hand legt sich auf meinen Mund, ich spüre meine Schwellkörper. "DICH haben wir!"

Mir bleibt nichts übrig. Sie filzen meine Papiere, die in meiner grünen Jacke stecken. Ich fühle mich wie eine Infektionsprobe. Ich zerfließe in häßlichem Stau und gieße mich in heiter-labiler Abgeschiedenheit wieder aus. Wieviele Räume hat dieser Raum ? Morgens. Kühl. Neblig. Herbst. Keine Blätter, keine Bäume. Nur Hecken. Ackerpfade, ein paar eingezäunte Weiden. Weiter reicht das Auge nicht. Zu meiner Rechten ein Mensch in langem Gewand, mit kurzem, knopfähnlichem Kopf. WO habe ich ihn je gesehen ? Ich blicke ihn verzückt an. Seine Lippen kommen mir entgegen und greifen zum Ohr: "BUGULU SAGT: Die Welt ist auch ohne IHN schön ! VERGISS IHN!" Wieder verspüre ich einen Piekser. Wo ist der Mann im roten Mantel ? Was haben sie mit ihm gemacht ?

Die Spritze beginnt zu wirken. Ich weiß jetzt, daß ich genau an dieser Stelle, wo ich jetzt gehe, wohne, ich nehme mein Zuhause in mir mit, und setze einen Schritt vor den ... einen Schritt vor den .., einen Schritt vor den ...